Veranstaltung: | Landesparteitag S-H Oktober 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Anträge |
Antragsteller*in: | Mathias Schmitz (KV Pinneberg) |
Status: | Eingereicht |
Antragshistorie: | Version 10 |
A6 - Neu (Ä1-8): Migrationspolitik ganzheitlich denken: Integrationshemmnisse lösen und Gesellschaft stärken
Antragstext
Der Migrationsdruck im Nahen Osten ist eine fortlaufende und komplexe
Entwicklung, die sich nicht vollständig aufhalten lässt. Kriege, politische
Instabilität, wirtschaftliche Krisen sowie klimatische Veränderungen in der
Region treiben immer mehr Menschen dazu, ihre Heimatländer zu verlassen. Diese
Mischung aus politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren führt zu
einem immer höheren Migrationsdruck, der absehbar nicht nachlassen wird.
Die anhaltende Migration führt zu gesellschaftlichen Spannungen, die sich in
verschiedenen Bereichen bemerkbar machen. In Deutschland verstärken sich
politische Spaltungen, Polarisierungen und bewusst erzeugte Angst. Was früher
eine Debatte über humanitäre Verpflichtungen und Integration war, ist in weiten
Teilen zu einem harten, oft von Ängsten und Vorurteilen geprägten politischen
Schlagabtausch geworden. Dies führt zur gesellschaftlichen Wahrnehmung der
Überforderung des Systems, die nicht nur organisatorische, sondern auch soziale
Folgen hat.
Dabei zeigt die Migration am Ende nur die Probleme, die bereits in unserem
System bestehen. Sie werden nur durch den Druck der Migration wesentlich
sichtbarer. Diese Probleme sind vielzählig, fussen auf Vernachlässigung,
mangelnde Finanzierung oder falscher politischer Steuerung in den vergangenen
Jahrzehnten. Für eine zielführende Lösung der aktuellen Herausforderungen gilt
es, die sichtbar gewordenen Probleme anzugehen, damit am Ende alle Menschen in
Deutschland profitieren. Damit stärken wir nicht nur die Integrationsfähigkeit
Deutschlands, sondern arbeiten zukunftsorientiert für unsere gesamte
Gesellschaft.
- Mangelnder Wohnraum
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist seit Jahren ein Problem. Studierende,
ältere Menschen und junge Familien - der Druck auf den Wohnungsmarkt ist seit
Jahren hoch. Gleichzeitig brauchen wir genau diesen Wohnraum, um Geflüchtete
dezentral unterzubringen und eine Perspektive zu geben. Größere Unterkünfte
führen zu gesellschaftlichen Spannungen und helfen vielmals nicht der
Integration. Zielsetzung unserer Politik muss es sein, mit bezahlbaren
Wohneinheiten in höheren und verdichteten Bauen im Zusammenspiel einer gut
zusammenarbeitende Sozial- und Stadtplanung den Herausforderungen
entgegenzutreten.
Schleswig-Holstein ist bei der Förderung des sozialen Wohnungsbaus sehr weit
vorn, das zeigt auch die starke Nachfrage der der Förderung durch Bauwirtschaft.
Allerdings können durch staatliche Förderungen allein die Preissteigerungen der
letzten Jahre im Wohnungsbau nicht aufgefangen werden.
Daher muss das Land gleichzeitig Standards für preisgedämpften Wohnraum setzen,
um ein weiteres Werkzeug für alle Kommunen in Schleswig-Holstein zu schaffen,
wie zum Beispiel mit dem kürzlich vorgestellten Regelstandard für vereinfachtes
Bauen.
- Mangelnde Sprachförderung
Alle Menschen, die in Deutschland Fuß fassen, müssen Deutsch gut lernen können,
um sprachlich barrierefrei durch das Leben kommen. Dies ist ein wichtiger
Schritt in der Integrationsfähigkeit von Geflüchteten. Solange ein ausreichendes
Angebot fehlt, Wartezeiten zu lang sind, bürokratische Anforderungen an
bundesgeförderte Sparchangebote zu hoch, benötigen wir weiterhin ein ergänzendes
Sprachkursangebot des Landes. Wir müssen das Angebot zu den Menschen vor Ort
bekommen, um Angebote für alle zu schaffen und besonders Frauen in ihren
Sprachfertigkeiten weiterzubilden. Mit der Ausweitung der arbeitsmarktbezogenen
Sprachtrainings des Beratungsnetzwerks "Alle an Bord" wollen wir ein effektives,
niedrigschwelliges Angebot, dass sich bereits bewährt hat, auf ganz Schleswig-
Holstein ausweiten."
- Arbeitsmarkt
Migranten haben immer noch rechtliche Barrieren, die ihnen die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit zu lange untersagt und in Folge eine Einstellung nur unter zu
hohen bürokratischen Herausforderungen für Arbeitnehmende und Arbeitgebende
möglich ist. In einer Zeit, in der Arbeits- und Fachkräfte in unserer Wirtschaft
fehlen, ist dies nicht nur eine Fehlsteuerung im Bereich der Integration,
sondern auch in der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes.
Als Partei setzen wir uns für einfache Wege ein, damit Migranten Arbeit
aufnehmen können: Bürokratiearm für Unternehmer:innen und ohne einen Wust an
Formularen für den Arbeitnehmenden. Dies hilft nicht nur bei der Sicherung
unserer Wirtschaftsfähigkeit, sondern mindert die Notwendigkeit an staatlichen
Zuschüssen und baut Sprachkenntnisse durch das gesellschaftliche Miteinander
aus.
- Anerkennung beruflicher Qualifikationen
Für jeden Ausbildungsberuf brauchen wir einen modularen Qualifikationsrahmen,
sodass auch Teilqualifikationen besser anerkannt und auf dem Arbeitsmarkt
genutzt werden können. Innerhalb eines solchen Qualifikationsrahmens brauchen
wir Prüfungen, mit denen ermittelt wird, welche Qualifikationsmodule ein Mensch
beherrscht und welche Lücken bestehen, so dass hier gezielt nachqualifiziert
werden kann, um einen vollwertigen Berufsabschluss zu erreichen. Auch ohne
Nachqualifikation kann so ein offizielles Prüfungsergebnis klar aufzeigen, wo
die beruflichen Qualifikationen nachweislich vorhanden sind.
Nach Hamburger Vorbild wollen wir ein Stipendienprogramm für die Anerkennung
ausländischer Berufsqualifikationen aufbauen, um die Teilnahme an Anpassungs-
und Nachqualifizierungskursen, Zuschüssen für Lebenserhaltungskosten während der
Prüfungs- und Nachqualifizierungszeiten oder Lernmittel-, Kurs- und
Prüfungsgebühren individuell fördern zu können.
Auf Landesebene muss die Bearbeitung von Anträgen zur Anerkennung und zur
Berufserlaubnis beschleunigt und besser aufeinander abgestimmt werden. Ein
Beispiel hierfür ist die Zulassung von Ärzt*innen aus Drittstaaten.
Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) der Länder benötigt eine
auskömmliche Finanzierung, um eine zeitnahe Gutachtenerstellung gewährleisten zu
können.
Auf europäischer Ebene setzen wir uns dafür ein, dass die Mitgliedstaaten sich
bei weiteren Ausbildungsgängen auf Mindestanforderungen zur Vergleichbarkeit
einigen und somit die Verfahren zur automatischen Anerkennung auf weitere Berufe
ausgeweitet werden können.
Dies unterstützt nicht nur die Möglichkeiten der Nachschulungen von
Geflüchteten, sondern macht das System variabler und entspricht den aktuellen
Bedürfnissen des Arbeitsmarkts.
Bei der formalen Anerkennung beruflicher Qualifikationen anhand von vorhandenen
Zeugnissen brauchen wir bundesweit einheitliche Standards.
- Schulische Bildung
Viele Schulen sind nicht mehr in einem modernen Zustand, Räume für eine
angemessene Beschulung sind an einigen Standorten nicht in ausreichender Zahl
verfügbar. Viele Kommunen können die notwendigen Investitionen nicht selbständig
leisten, es braucht verstärkt das Land und den Bund mit einem
Investitionsprogramm Schule, um die Grundsubstanz unseres Lernens für die
Zukunft zu erneuern. Gleichzeitig müssen wir die DaZ-Klassen weiterhin gut
ausfinanzieren. Es braucht ausreichend Lehrpersonal, um eine gute Integration in
den Regelunterricht und die Einbindung von Schüler:innen in die Klassen- und
Schulgemeinschaft zu gewährleisten.
Wir setzen uns für eine Vereinfachung der Sprache von Prüfungen in Schule und
Ausbildung ein, von der alle Schüler*innen und Azubis profitieren werden. Wir
wollen außerdem erreichen, dass der Zugang zu einem Nachteilsausgleich
erleichtert wird.
- Frühkindliche Bildung
In der frühkindlichen Bildung liegen hohe Potenzial der Integration. Junge
Menschen haben eine hohes Lernpotenzial im Bereich Sprache und lernen früh ein
breites Spektrum an gesellschaftlichen Kompetenzen. Dies gilt aber nicht nur für
Kinder von Migranten, sondern für alle Kinder in Deutschland. In den letzten
Jahren sehen Eltern viel zu häufig die Situation, dass Kita-Plätze nicht
ausreichend zur Verfügung stehen. Ein Konkurrenzkampf ist vielmals das Resultat
und leitet zu Neid gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. Dieser
gesellschaftlichen Entwicklung muss vorgebeugt werden. Wir müssen vermehrt dafür
sorgen, dass die Kommunen ausreichend Kita-Plätze vor Ort haben - das bedarf
Neu- oder Anbau von Gebäudekapazitäten, aber auch eine ausreichende Anzahl an
Erzieher:innen. Wir sind hier auf einem guten Weg, müssen aber weit mit Druck
vorangehen, um im Bereich Kita im Sinne der Integration und Gleichberechtigung
der Mangellage entgegenzutreten.
- Psychotherapeutische Versorgung
Traumatische Erlebnisse auf der Flucht oder auf Grund kriegerischer
Auseinandersetzungen im Heimatland sind bei vielen Teil ihrer Fluchtgeschichte.
Hinzu kommt die allgemeine Steigerung an psychischen Krankheiten, die besonders
seit der Corona-Pandemie angestiegen sind. Es ist also eine Aufgabe für unser
gesamtgesellschaftliches Zusammenleben, die psychotherapeutische Versorgung in
unserem Land auf den angewachsenen Bedarf auszuweiten und mehr kassenärztliche
Plätze zu schaffen.
Darüber hinaus brauchen wir pädagogische Fachkräfte, die sensibel und kompetent
mit belasteten Kindern umgehen und sie stärken können. Deshalb werden wir das
traumapädagogische Angebot TIK.SH für Kita, Grundschule und Förderzentren weiter
entwickeln und ausbauen.
- Ärztliche Versorgung
Grundsätzlich ist festzustellen, dass wir in Deutschland eine gute ärztliche
Versorgung haben. Ausgerechnet die zahnmedizinische Versorgung zu
problematisieren ist reine Polemik. Klar zu beobachten ist allerdings eine
abnehmende Versorgung in ländlichen und eine Überversorgung in urbanen Gebieten.
Diesen Trend können wir nicht einfach hinnehmen, sondern wir müssen
gegensteuern, um die medizinische Grundversorgung sicherzustellen, indem wir die
Kommunen in der Einrichtung von kommunalen medizinischen Versorgungszentren
helfen und strukturschwache Räume in der Bedarfsplanung vermehrt
berücksichtigen.
- Kulturelle Integration
Kulturelle Integration im Kontext von Migration ist entscheidend für den
gesamtgesellschaftlichen Wandel, der durch die zunehmende Diversität geprägt
wird. Aktuelle Herausforderungen ergeben sich oft durch mangelnde Teilhabe von
Migrant:innen am gesellschaftlichen Leben, Sprachbarrieren und soziale
Segregation. Zudem sehen wir gesellsamtgesellschaftliche Entwicklungen, die die
Lehratmosphäre in einigen Schulen einschränken. Das Startchancenprogramm setzt
einen ersten Ansatz in der Lösung dieser Probleme. Weitergehend muss unser
Lösungsansatz in einer Förderung interkultureller Kompetenzen ab dem
Kindergartenalter liegen. Dazu gehören die frühzeitige Sprachförderung in
Kindergärten und Schulen, die Unterstützung von Lehrkräften durch ausreichende
Schulsozialarbeit und der Förderung interkultureller Programme durch die
Schulen, beispielsweise zur verstärkten Vermittlung gemeinsamer Werte.
Zur kulturellen Integration gehört zuvorderst die Integration in den
universalistischen Geist des Grundgesetzes und der Menschenrechte. Dazu gehören
ein Verständnis von und eine Identifikation mit Demokratie, Menschenrechten,
weltanschaulichem Pluralismus, Gleichstellung der Geschlechter und sexueller
Selbstbestimmung. Angebote der politischen und kulturellen Bildung, die diese
Werte zielgruppengerecht und alltagsnah vermitteln, sollen verstärkt gefördert
und möglichst universaler Bestandteil des Integrationsweges von Geflüchteten und
Migrant*innen werden - etwa durch den deutlichen qualitativen und quantitativen
Ausbau der entsprechenden Anteile in den Integrationskursen. Hierfür kann und
sollte sollte insbesondere auf die Kompetenzen von Menschenrechtsaktivist*innen
und -Expert*innen zurückgegriffen werden, die selbst aus den jeweiligen Regionen
kommen oder anderweitig eine kulturspezifische Vorbildung mitbringen. Um bereits
frühzeitig einen tiefgreifenden Austausch über diese sensiblen und komplizierten
Themen zu ermöglichen, braucht es zudem auch muttersprachliche Angebote und eine
Sensibilität für je nach Herkunftsregion unterschiedlich stark ausgeprägte
Problemschwerpunkte.
- Stärkung des Ehrenamts
Viele Angebote der Inklusion, ob Sprachangebote, Willkommenscafé und Tafeln,
aber auch Sportvereine - all diese ehrenamtlichen Institutionen schaffen einen
wesentlichen Teil der deutschen Integrationsarbeit. Diese Angebote und die
Menschen dahinter sind an ihren Belastungsgrenzen. Zu hoch sind bspw.
bürokratische Hürden in der Beantragungen von Förderungen, der Anschaffung von
Hilfsmitteln und dem Aufbau einer hauptamtlichen Struktur. Die Ehrenamtsangebote
brauchen mehr finanzielle Unterstützung und Hilfestellungen. Die Kreise und
große Städte sollen dafür eine hauptamtliche Stelle für Ehrenamtsmanagement
aufbauen, um durch Netzwerke, förderrechtlichen Hilfsangeboten und persönlicher
Beratung vor Ort die ehrenamtlichen Angebote zu stärken. Aber auch Migranten
sind willens, sich ehrenamtlich zu engagieren. Insbesondere bei Tafeln ist die
Integration von Migranten im Ehrenamt gelebte Praxis.
- Finanzielle Ausstattung / Schuldenbremse
Es ist klar, durch Anerkennung der Probleme und der Verdeutlichung in der
Öffentlichkeit ist ein erster Schritt gemacht. Es braucht jedoch vor allem
finanzielle Mittel, um die Maßnahmen umzusetzen und gesamtgesellschaftlich einen
Schritt Richtung Zukunft zu gehen. Gleichzeitig erleben wir eine Debatte, bei
der die Schuldenbremse, die aus Sicht vieler Ökonom*innen reformbedürftig ist,
in einigen Parteien als Heiligtum unserer Verfassung hochgehalten und als
unveränderbar gehandelt wird, gleichzeitig aber das Grundrecht auf Asyl in Frage
gestellt und eine Verfassungsänderung als probates Mittel gehandelt wird. Für
uns ist klar, wenn wir über eine Verfassungsänderung reden, die die Probleme
unserer Gesellschaft lösen soll, dann muss dies die Reform der Schuldenbremse
hin zu einer investitionsoffenen, zukunftsgerichteten Schuldenregelung sein.
Mathias Schmitz, KV Pinneberg
Lukas Unger, KV Pinneberg
Ann Christin Hahn, KV Pinneberg
Unterstützer*innen
- Jessica Leutert (KV Kiel)
- Yann Aretin Eggert (KV Pinneberg)
- Reinhard Junge (KV Plön)
- Uta Bergfeld (KV Schleswig-Flensburg)
- Björn Radke (KV Segeberg)
- Britta Klingspor (KV Ostholstein)
- Sabine Loof (KV Pinneberg)
- Oliver Lorentzen (KV Pinneberg)
- Sönke Dibbern (KV Schleswig-Flensburg)
- Markus Winkler (KV Schleswig-Flensburg)
- Andrea Eva Dreffein-Hahn (KV Pinneberg)
- Birte Duggen (KV Lübeck)
- Malte Ranis (KV Kiel)
- Nadine Mai (KV Pinneberg)
- Askan Grimmelsmann (KV Neumünster)