Veranstaltung: | Landesparteitag S-H Oktober 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Kinder, Jugend und Familie (dort beschlossen am: 11.06.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 13.09.2024, 09:28 |
A9: Gute KiTas - Gute Zukunft. Positionspapier zur weiteren Ausgestaltung der KiTa-Reform in Schleswig-Holstein
Antragstext
Die frühkindliche Bildung legt den Grundstein für die weitere Bildungsbiografie
unserer Kinder. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für eine chancengerechte
Gesellschaft. Kitas und Tagespflege sollen einen verlässlichen Entwicklungsraum
bilden, in dem alle Kinder dieselben Chancen auf ein gutes und geborgenes
Aufwachsen, Entdecken und Lernen haben. Wir wollen KiTas als Orte der Bewegung,
Naturerfahrung, Kreativität und Demokratiebildung stärken. Kinder sollen
sprachlich gefördert werden, gesund essen, frei spielen und nach ihren
Interessen lernen können. Dazu benötigen wir Investitionen in den Platzausbau
und das pädagogische Personal. Kinderbetreuung wollen wir noch mehr als heute
inklusiv denken. Essentiell für die Chancengerechtigkeit ist zudem, dass Kinder
unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern einen Zugang zu
frühkindlicher Bildung erhalten. Gleichzeitig sind Kindertageseinrichtungen und
Tagespflege zentrale Instrumente zur Verbesserung der Gleichstellung und ein
Fundament der Wirtschaft. Ohne Betreuung keine Arbeitskräfte. Daher braucht es
an die Bedarfe der Familien angepasste, qualitativ hochwertige Betreuung und
Bildung für alle Kinder. Für die Qualität an unseren Kindertageseinrichtungen
sorgen unsere Fachkräfte. Entlastung bei ihnen schafft mehr Raum für Qualität.
Entsprechend soll der Abbau bürokratischer Vorgaben sowie weitere
Entlastungsmaßnahmen im aktuellen Anpassungsprozess zentral sein.
Die Einführung der KiTa-Reform im Jahr 2021 war ein elementar wichtiger Schritt,
um im ganzen
Land eine gute verlässliche und chancengerechte Kinderbetreuung und
frühkindliche Bildung mit landesweit einheitlichen Grundstandards
voranzutreiben. Wir stehen als Landesverband v. Bd 90/Die Grünen vollständig
hinter dem Konzept einer
gemeinsamen Finanzierungsverantwortung von Land, Kreisen und Kommunen sowie der
gemeinsamen Festlegung von Mindeststandards und der Deckelung von
Elternbeiträgen. Die anvisierte flächendeckende Entlastung von Familien, von
Kommunen und Trägern als wichtiges Ziel der Reform, konnte zunächst nicht
überall die gleiche Wirkung entfalten. Das lag u. a. in der unterschiedlichen
Struktur der KiTa-Landschaft begründet. Heute zeigt sich mehr denn je, wie
wichtig der Konsens über die KiTta-Reform gewesen ist. Dass die Evaluation
Lücken aufzeigt, ist in einem so umfangreichen Reformvorhaben nicht
ungewöhnlich. Nun gilt es, gemeinsam an einem noch besseren und starken System
zu arbeiten und die Lücken klug zu schließen. Alle Überlegungen müssen sich
dabei auch am Qualitätsrahmen des Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) und
den Bildungsleitlinien des Landes SH orientieren. Die frühkindliche Bildung muss
zudem künftig in eine „Strategie Chancengerechtigkeit“ eingebunden werden, die
mit Partner*innen aus den frühen Hilfen, dem Übergang KiTa-Schule sowie
Lehrkräften und Jugendhilfe erarbeitet wird.
Gemeinden, Städte und Kreise sowie das Land müssen ein tragfähiges und auf die
Ziele ausgerichtetes
Finanzierungsmodell entwickeln und sich in der aktuellen Gesetzesnovelle
konstruktiv einbringen. Als Partei, die sowohl in Gemeinden, Städten und
Kreisen als auch im Land eine tragende Rolle bei der Gestaltung spielt, stehen
wir zu den Zielen der Reform und setzen uns auf allen Ebenen für eine
Verbesserung der Qualität und auskömmliche Finanzierung der frühkindlichen
Bildung ein.
In diesem Sinne begrüßen wir die von der Landesregierung zugesagte Überführung
des Übergangssystems in das Zielsystem bei der Finanzierung sowie die
vorgestellten 10 Eckpunkte zu einer Verbesserung des KiTasystems im Jahr 2024
ausdrücklich.
Insbesondere die folgenden 10 Punkte sind uns als Partei ein großes Anliegen:
- Der Verzicht auf eine Erhöhung der Elternbeiträge ist ein starkes und
klares Signal an die Familien, dass wir Teilhabe an frühkindlicher Bildung
als ein Recht der Kinder und Familien betrachten. Wir erkennen an, dass
die im Koalitionsvertrag verankerte perspektivische Senkung der Beiträge
angesichts der angespannten Haushaltslage im Zuge der Evaluation im Moment
nicht weiterverfolgt werden kann. Gleichzeitig kämpfen wir auf allen
Ebenen für den Ausbau der sozialen Ermäßigung und die Ausweitung der
Geschwisterermäßigung. Beitragsfreiheit bleibt unser langfristiges Ziel.
Wir setzen uns dafür ein, dass mit dem Start des Rechtsanspruches auf
einen Ganztagsplatz in der Schule, die Sozialstaffel und die
Geschwisterreglung ausgeweitet werden. Gleichzeitig fordern wir Kommunen,
Träger und das Land auf, für die Problematik der stark steigenden und
stark differenzierten Essensbeiträge einen Vorschlag zu einer
wirkungsvollen Deckelung unter Beachtung der Erfordernisse einer
nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung zu machen. Bei der sozialen
Ermäßigung setzen wir uns auf allen Ebenen für eine landesweit
einheitliche Berechnungs- und Bewilligungspraxis und eine digitale
Beantragung in den Kreisen und Kommunen ein. Das Recht auf Ermäßigung (SGB
VIII) ist auch rückwirkend zu gewähren.
- Den im Eckpunktepapier der Landesregierung vorgestellten Kompromiss halten
wir für eine gute Lösung zur Schließung der im Zuge der Evaluation
festgestellten Finanzierungslücke von 120 Mio Euro. Die öffentlichen
Partner (Kommunen, Kreise und das Land) sehen wir in der Verantwortung mit
Kompromissbereitschaft für eine möglichst schnelle Einigung zu sorgen.
Eigenanteile der Träger sind abzulehnen, ausgenommen sind abgeschriebene
Gebäude, interne Infrastruktur (Bsp. Busse) und ehrenamtliche
Personalressourcen. Ebenso müssen Kosteneinsparung durch bessere
Digitalisierungsprozesse und mehr Transparenz bei der Mittelabrechnung in
den Fokus rücken. In die weiteren Gesprächen müssen auch in Zukunft
kontinuierlich unabhängige Expert*innen, Träger, Fachkräfte, Verbände und
Eltern auf Augenhöhe einbezogen sein. Die Eltern, die diese
Beratungsfunktion vollständig ehrenamtlich ausüben, müssen u.a. bei
Fahrtkosten und Betreuungskosten unterstützt werden.
- Die Verbesserung von Qualität und Verlässlichkeit hat für die KiTas und
die Familien oberste Priorität. Eine Wertschätzung und damit auch eine
perspektivische Stärkung der Fachkräfte bildet hier die Grundlage. Es darf
daher zu keiner Verminderung der aktuell in den KiTas vorhandenen
Personalstunden kommen. Der Wechsel von einem Gruppen- auf einen
Anstellungsschlüssel kann ein sinnvolles Instrument zur Stärkung der
Verlässlichkeit sein. Dies gilt aber nur, wenn das bereits vorhandene
Personal nicht reduziert, sondern lediglich die Verteilung über den Tag
flexibilisiert wird. Rolle und Aufstiegschancen von SPAs in der KiTa
wollen wir weiterentwicklen. Perspektivisch ist eine zusätzliche flexible
Personalressource wünschenswert. Im ersten Schritt starten wir mit den
eingruppigen KiTas. Eine Begleitung der Qualitätsentwicklung durch ein
externes Institut ist ratsam.
- Die Kindertagespflege hat sich zu einer wichtigen zweiten Säule in der
frühkindlichen Bildung und Betreuung entwickelt und ist durch die KiTa-
Reform gestärkt worden. Für die Tagespflege als einen Baustein der
Betreuungsangebote soll es auch weiterhin eine verlässliche und gute
Perspektive werden. Dies begrüßen wir. Gleichzeitung muss gewährleistet
sein, dass die Tagespflege über das ganze Jahr, auch in den Sommermonaten,
wo es vermehrt zu Wechseln kommt, ihre Räume und ihre Tätigkeit
auskömmlich finanzieren kann.
- Die Verlässlichkeit von Betreuung herzustellen und Schließungen sowie
Randzeitenkürzungen zu vermeiden, ist ein Kernauftrag aller Beteiligten.
Es ist daher wichtig, das Personal zu fördern und weiterhin auskömmlich zu
finanzieren sowie Möglichkeiten zur Flexibilisierung zu eröffnen.
Zusätzliche Vertretungsregelungen, Springerstellen und Nutzung von
Zeitarbeit müssen im weiteren Reformprozess einfließen. Wir wollen
weiterhin nach Lösungen suchen, um eine Rückerstattung geleisteter
Elternbeiträge bei einer Schließung zu gewähren.
- Der Ausbau von Öffnungszeiten darf nicht mit einer Erhöhung von Gebühren
einhergehen. Dies haben wir Grüne SH auf einem Landesparteitag bereits im
Jahr 2021 beschlossen (Link). Im Gegenteil, möchten wir positive Anreize
setzen, um zeitliche Flexibilität zu ermöglichen. Essentiell für die
Chancengerechtigkeit ist der Ausbau von Plätzen mit flexiblen
Öffnungszeiten. Bei der Kitabedarfsplanung müssen Elternbedarfe eine
stärkere Berücksichtigung finden. Gleichzeitig wollen wir Betreuungszeiten
und Kindeswohl zusammendenken. Wir möchten den Früh- oder Spätdienst als
zentralen Beitrag zur Chancengleichheit fördern und keine finanziellen
Nachteile damit verbinden. Denn die Eltern, die diese Angebote nutzen,
arbeiten meist insbesondere in den Berufsfeldern, wo es oft keine große
Flexibilität, keine Möglichkeit zum Homeoffice und ein geringes bis
mittleres Einkommen gibt: Handwerk, Gastronomie, Gesundheit, Einzelhandel,
ÖPNV, Pflege usw.. Alleinerziehende, die ohnehin besondere
Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben,
sollten ebenfalls nicht zusätzlich belastet werden.
- KiTas benötigen für den Ausbau der Qualität grundsätzlich mehr Ressourcen.
Inklusion an KiTa muss weiterhin ausgebaut und künftig noch stärker nach
vorn gestellt werden. Die Reduktion von Gruppengrößen ist zwar ein
wichtiges und wirksames Instrument, es müssen jedoch auch mehr
Heilerzieher*innen in die Personalbudgets Eingang finden. Die vorhandenen
Angebote der Eingliederungshilfe sollen schneller und unkomplizierter
beantrag- und abrufbar sein. Gleiches gilt für zusätzliche Elternberatung,
Angebote zur Integration, aber auch die Inanspruchnahme von externen
Lernorten und Lernpartner*innen, wie Museen, Vereinen und Musikschulen.
KiTas benötigen extra Budgets und konzeptuelle Begleitung, um diese
Lernangebote wahrnehmen zu können. Ebenso muss die Vorschularbeit und die
Sprachbildung weiterhin als ein wichtiges Instrument mit zusätzlichen
Ressourcen gefördert werden.
- Unsere Fachkräfte sollen den Rückhalt aller Beteiligten für ihre wichtige
Arbeit spüren. Dazu gehört die auskömmliche Berechnung der
Personalstunden, aber auch die Investition in gute Räume und Außenanlagen
sowie Entlastungen bei Beratung oder Bildungsangeboten. Spielraum für
Fortbildungen, Gesundheit, Zuschüsse zu Mobilität oder
leistungsorientierte Gehaltsanpassungen können Anreize geben und zugleich
die Kontinuität beim Personal fördern. Die Förderung von zusätzlichen
Stunden etwa durch Praktika, FSJ oder die praxisintegrierte Ausbildung
(PiA) können neue Fachkräfte binden und die Ausbildungs- und
Arbeitsbedingungen verbessern. Wir suchen nach Lösungen für eine
flexiblere Anrechenbarkeit. Gleichzeitig fordern wir das Land auf, künftig
eine detaillierte Evaluation der Ausbildungsformen und ihrer Potentiale
gegen den Fachkräftemangel in KiTas sicherzustellen. Die Ausbildung von
Fachkräften bleibt trotz kommunaler Initiativen Landesaufgabe und muss
hier wirksam durch ein Gesamtkonzept gesteuert werden. Das Angebot von PiA
SPA sollte auf kommunaler Ebene ausgebaut werden. Zudem müssen Klassen an
Berufsschulen offener auf Quereinsteiger*innen eingehen und Möglichkeiten
zur Finanzierung der Ausbildung geschaffen und genutzt werden.
- Als grundsätzlich hilfreich für die Entlastung der Fachkräfte sehen wir
die Einbeziehung von Helfenden Händen im Rahmen der Fachkräftestrategie
an. Insbesondere bei der Zubereitung von Mahlzeiten, der Gestaltung von
Ausflügen oder Bastelangeboten stellen sie eine wichtige und wertvolle
Hilfe dar. Ein realistischer Blick auf den demografischen Wandel gebietet,
dass wir uns öffnen. Zum einen ist die Zahl junger Nachwuchskräfte
endlich. Zum anderen ist es lohnend, Menschen anzusprechen, die nach dem
Renteneintritt einer sinnstiftenden Beschäftigung in kleinerem Umfang
nachgehen möchten. Der Kontakt zu der älteren Generation kann zudem als
ein Qualitätsaspekt in der frühkindlichen Bildung aufgefasst werden.
- Für die beabsichtigte Änderung bei den Raumstandards für KiTas möchten wir
uns klar für eine flexiblere Handhabung, statt einen generellen Rückbau
von Flächenvorgaben aussprechen. Insbesondere für Schlafmöglichkeiten,
Turn- und Musikangebote kann eine Bündelung sinnvoller sein, als in jedem
Raum extra Angebote vorzuhalten. Keine Kürzungen darf es beim Außenbereich
geben, da hier das Lernen und Spielen enorm vom Platz und dem gebotenen
Naturraum abhängt. Kinder sollen mit allen Sinnen ihre Umwelt und den
Wechsel der Jahreszeiten erleben. Die Einrichtung von NaturKitas möchten
wir daher weiterhin unterstützen. Für mehr Inklusion an KiTas muss die
räumliche Umgestaltung möglich sein und weitere Raumbedarfe mitgedacht
werden. Wir wollen auch räumlich ermöglichen, dass in KiTas frisch gekocht
werden kann.
Begründung
Die Landesarbeitsgemeinschaft Kinder Jugend und Familie des Landesverbandes
Schleswig-Holstein der Partei Bündnis 90/Die Grünen hat diese Positionen und
Handlungsempfehlungen am 11. Juni 2024 verabschiedet.
Ziel war es eine von der Parteibasis getragene Grundkonzeption und Forderungskatalog zu entwickeln, die neben den realpolitischen Verhandlungen und notwendigen Kompromissen auf Landesebene und in den Kommunen, Orientierung geben, wie nach unserer fachlichen Expertise und Grünen politischen Haltung die frühkindliche Bildung entwickelt werden soll. Eine solche Position ist nicht nur wichtig für unsere Kommunikation mit den Akteuren wie Eltern, Trägern, Fachkräften, sondern auch für künftige Verhandlungen und Programmprozesse.
Mit diesem Antrag soll ermöglicht werden, die konzeptionelle Vorarbeit der LAG und der Landtagsfraktion, mit dem ganzen Landesverband zu diskutierten und als Beschluss zu verstetigen.
Wir freuen uns über eure Zustimmung und stehen für Rückfragen oder Austausch zu möglichen Änderungsanträgen sehr gern zur Verfügung
Nadine Mai & Christian Osbahr
(LAG Kinder, Jugend und Familie)
Unterstützer*innen
- Michael Brandtner (KV Kiel)
- Annabell Louisa Pescher (KV Flensburg)
- Jessica Leutert (KV Kiel)
- Sara König (KV Schleswig-Flensburg)
- Britta Baar (KV Dithmarschen)
- Zoé Engel (KV Kiel)
- Aminata Touré (KV Neumünster)
- Oliver Lorentzen (KV Pinneberg)